The Choreographend City

Eine Hilfe für das Leben in der Gesellschaft scheint mir die große Stadt zu gewähren. Heute ist sie die einzige Wüste auf unseren Wegen.“
Albert Camus, Notizhefte 1935–1942, März 1940


Mona Breedes Fotografien fangen die chaotische und nivellierende Atmosphäre der großen Städte ein, die Anonymität gewähren und Vereinzelung bedeuten, auch innerhalb einer großen Menge. Sie hält in ihren Kompositionen die Bewegung der heutigen Stadtlandschaften an, indem sie sich der Menschen und der Architekturen bedient und aufeinander bezieht. In den meisten der Bilder erscheinen die Menschen klein und nahezu spielzeugartig im Vergleich zu der mächtigen gebauten Umgebung. Die Künstlerin benutzt dramatisches Licht, um eine mehrdeutige, überreale Atmosphäre zu erzeugen, die sie in Tableaus ausbreitet, die eine innere Dynamik haben, aber zugleich den fast unheimlichen, statischen Charakter von künstlichen architektonischen Projektionen.

Für ihre Bilder setzt Mona Breede häufig Elemente aus verschiedenen Einzelfotos zusammen, die alle von der gleichen Kameraposition aus an derselben Stelle aufgenommen sind. Charakteristisch für sie ist, dass sie das Licht an einer gegebenen Stelle während eines ganzen Tages beobachtet, um herauszufinden, wann es von der Stimmung und der Atmosphäre her besonders geeignet ist. Dann wendet sie sich dem Hintergrund zu. Sie kehrt mehrmals an den Ort zurück, um die vorbeigehenden Personen zu beobachten und aufzunehmen. Später, am Computer, beginnt sie mit der schwierigen Aufgabe der Bearbeitung, um ihre Vorstellung von den Menschen im urbanen Raum zu verwirklichen – das Choreographische, wie sie es nennt. Sie legt dabei große Sorgfalt darauf, ihre Figuren als natürlich erscheinen zu lassen, indem sie sie so plaziert, dass sie den beobachteten Mustern und Verhaltensweisen entsprechen.

Ihre Kompositionen fügen sich nur vermeintlich bruchlos, sie enthalten etwas nicht ganz Eindeutiges. Letztlich ist es das Licht, das zuweilen den Anschein des nicht ganz Stimmigen weckt. Da Mona Breede Aufnahmen von verschiedenen Tageszeiten für eine Komposition verwendet, zeigen sich oft mehrere unterschiedliche Lichtsituationen in einem Bild vereint. Der technische Vorgang steigert das Gefühl, dass die Stadt einer Bühne ähnelt, die Architektur Kulisse ist, vor der die Menschen als Schauspieler agieren. Es ist kein Zufall, dass Mona Breede vor und während ihres Studiums der Photographie an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe gerne Aufnahmen von Tänzern und Theaterproduktionen machte.

Die Vorstellung eines Bühnenarrangement ist der Grund dafûr, dass die Menschen in den Bildern von Mona Breede vereinzelt, nicht zueinander gehörend erscheinen wie auch isoliert von ihrer Umgebung. Sie erwähnt den Einfluss des französischen existentialistischen Schriftstellers Albert Camus, besonders seine Idee des Absurden, die auf der Vorstellung basiert, dass die Menschen verloren in der Welt sind, da sie sich nach Ordnung und Sinn sehnen, während die Welt ihnen nur Chaos und Leid bietet. In Mona Breedes Fotografien erscheint der Mensch dem anderen fremd, wie ebenso entfremdet von der Umgebung, vereinzelt in der belebten, aber wüstenähnlichen Stadt, wie sie Camus beschreibt. In der Art der Auffassung von Architektur als Kulisse menschlicher Aktivitäten gibt es in ihrem Werk Berührungspunkte zu dem ihres früheren Lehrers Thomas Struth. Wie dieser macht Mona Breede Bilder, die zwei verschwisterte und doch getrennt operierende Welten beschreiben – die gebaute Umgebung und das menschliche Treiben in ihr. Mona Breedes Zugangsweise ist jedoch weniger dokumentarisch. Sie legt auch weniger Wert auf die gebaute Umgebung als es Struth gerne tut, vielmehr stärker auf die Menschen in ihr. Die Architektur spielt für sie letztlich eine assistierende Rolle für die Personen und das Licht, die die eigentlichen Protagonisten der Bilder sind.

Während sie durch Asien, Europa und Nordamerika reiste, um an ihren Serien zu arbeiten, wurde der Künstlerin bewusst, dass die Auswahl der Hintergründe für ihre Bilder immer schwieriger wird, da die architektonischen Stile weltweit kopiert und die urbanen Zentren immer austauschbarer werden. Gewöhnlich wählt sie unspektakuläre, nicht leicht wiedererkennbare städtische Bereiche für ihre Hintergründe, doch vermeiden ihre Bilder Homogenität. Die Städte, die Stadtszenerien, die sie wiedergibt, zeichnen sich durch ihren persönlichen Charakter aus, da sie auf variable Faktoren, wie Atmosphäre und das Agieren der Personen, wert legt, mehr als auf die universellen Architekturen der Hintergründe. (...)

Karen Irvine, Museum of Contemporary Photography
Columbia College Chicago

1) Michel de Certeau, The Practice of Everyday Life (Berkeley: University of California Press, 1984), S. 97.

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